Publikumswirksam

mich verwundert immer wieder die faszination, welche
für die allgemeinheit von (scheinbar) kaputten typen
ausgeht. vor allem wenn die kreative leistungskurve
der besagten eigentlich nach unten zeigt und nur die
skandaldichte überdurchschnittlich anschreibt.
Amy Winehouse hat seit über drei jahren nichts mehr
produktives geleistet, wird wohl kaum mehr etwas eben-
bürtiges zu "back to black" hervorzaubern können, ist aber
immer noch bestens im gespräch und braucht zwecks auf-
frischung, nur mal wieder im vollrausch mit offenem
balkon an ein paar fotografen vorbeitorkeln. um den ein-
geführten namen "kulturell" am köcheln zu halten, singt
jetzt (angeblich) auch ihr vater und wahrscheinlich
klappert großmutter im background dazu mit den zähnen.
das männliche pendant zu Amy, Pete Doherty, der zwei
wirklich gute alben mit The Libertines, ein unterschätztes
debüt (welches von seiner affäre mit Kate Moss überschattet
wurde) plus einen passablen nachfolger mit dem eigenen
projekt Babyshambles auf der positivseite vorweisen kann,
zusätzlich noch ein weinerliches soloalbum aus dem letzten
jahr, das hauptsächlich für die hardcore-fans, welche jeden
schuß, den er sich setzt, bejubeln, gedacht war, sorgt mit
jedem gerichtstermin für mehr schlagzeilen, als mit (durch-
geführten) auftritten.
oder das idol aller drogenkranken, Sid Vicious, parade-
beispiel für ein nur als imagegründen gecastetes band-
mitglied, welches ungefähr so musikalisch war, wie die
beiden von Milli Vanilli, ist heute noch legendär - für
was eigentlich?
aus der gleichen ecke, doch talentierter, Johnny Thunders,
der ebenso sex, drugs, rock & roll and alcohol als lebens-
motto vereinnahmte. das instrument des u.a. ex - New York
Dolls / Heartbreakers gitarristen, war ebenso "in tune" wie
seine leber- und blutwerte. er fiel auch mal von der bühne
oder kotzte hinter die verstärker, es ging dann aber auch
ohne unterbrechung weiter. was bei Keith Richards, der
ebenso als "wasted is the new cool" verkauft wurde, oft nur
show war, Johnny lebte es, bis in den tod und wird dafür
heute noch verehrt.
es ist eben ein phänomen der sparte musik. im filmbusiness
kann man zwar auch mit exaltiertem lebensstil anschrei-
ben, doch stimmt die leistung nicht, ist man schnell weg
vom fenster. kassengifte werden rasch entsorgt und heut-
zutage sind selbst fernsehrollen begehrt. da scheint mann/
frau dann in der presse nur mehr unter rubrik "was wurde
eigentlich aus.." auf.
gut, die chancen, daß selbst ein abgesoffener/s rockstar/let
noch irgendein label findet, welches die auswüchse ihres/
seines suffs bzw. cold turkeys veröffentlicht, stehen gut.
im notfall kann sie/er in zeiten wie diesen auch in eigen-
regie an den start gehen, wenn das management den plan
dazu hat. eine filmfirma gründet sich aber nicht so leicht
und im gegensatz zum album, kann man beim streifen
nicht alle positionen selbst besetzen.
auch in der literaturszene ist die eigenvermarktung noch
nicht ganz greifbar, doch geht die entwicklung mit virtu-
ellen werken, so weit ich es übersehe, voran. aber noch
ist es nicht möglich, sich irgendwie durchzuschummeln,
verlage halten die besten karten und können sich aus-
suchen wen sie rausbringen.
trotzdem ist ein öffentlicher skandal oft publikumswirk-
samer als eine ordentliche leistung. darüber liest oder
hört eben auch oma gerne, auch wenn sie z.b. mit der
musik, nichts am hütchen hat.
natürlich muß man generell erst mal (künstlerisch) ver-
dienstvolles bewirken, damit schlagzeilenträchtige ereig-
nisse darüberhinaus das gespräch aufrechterhalten. es ist
jedoch oft verwunderlich, wie lange scheiße manchmal
am köcheln gehalten werden kann.
turntable - 13. Jun, 23:49